Take it easy

Take it easy

Neulich Abend, am Ende eines langen, durchoptimierten Tages auf der langen, durchoptimierten Fahrt nach Hause, lief ein Song mit einem langen Titel: „Everybody’s got something to hide except for me and my monkey.“ Die Beatles. John Lennon sang: „Take it easy.“ Und gleich noch mal:

„Take it easy.“

Mir blieb der Mund offen stehen. Grundgütiger, wie lange hatte ich DAS nicht mehr gehört? Kam der Satz nicht in gefühlt jedem dritten englischsprachigen Song der 60er- und 70er-Jahre vor? Die Eagles sangen es, The Animals, The Walker Brothers, bei uns sogar Tom Astor und Truck Stop. Selbst wer kein Englisch konnte, kannte diesen Satz: „Nimm’s leicht.“

Warum das damals so in Mode war – ich weiß es nicht. Wäre spannend, das mal zu untersuchen.
Was mich aber umhaut: Allein der Gedanke, mal was leicht zu nehmen, wirkt auf mich heute wie ein Fund aus dem Pleistozän.

Klar, ich bin Deutscher. Bei einer Weltmeisterschaft im Takeiteasy hätte eine deutsche Nationalmannschaft wahrscheinlich nie auch nur die Vorrunde erreicht. Deutsche haben die Kfz-Hauptuntersuchung erfunden und die U6-Untersuchung beim Kinderarzt. Beides ist super. Mit seiner Grübelei und seinem Perfektionismus hat unser Kulturkreis viel Sinnvolles auf die Beine gestellt, während Länder und Regionen, in denen „Take it easy“ Staatsreligion ist, vergleichsweise wenig auf die Kette gekriegt haben. Was unsere Vorfahren geschafft haben, schafft man nicht, wenn man ewig alles leichtnimmt. Adam Ries hat herausgefunden, dass fünf keine gerade Zahl ist, und Konrad Zuse hat’s bestätigt.

Wir können auch locker sein. Also, vergleichsweise. In den 90er-Jahren, als auf einmal keine atomare Vernichtung mehr drohte und wir munter reisen konnten, wohin wir wollten, waren wir an manchen Tagen nachgerade entspannt.

Dann kam Mohammed Atta und hat uns die gute alte Angst zurückgebracht. Dann das Kyoto-Protokoll, und nach und nach wurde den Leuten klar, dass uns wieder eine Art Vernichtung droht, nur dass dieses Mal jeder aufgerufen ist, seinen Teil dazu beizutragen, dass es nicht so schlimm wird. Social Media eroberte unseren Alltag, Flüchtlingswellen kamen, und seit die Rechten und die Linken sich gegenseitig hochschaukeln, abwechselnd überempfindlich und entfesselt, hat man ja fast schon ein schlechtes Gewissen, auch mal was leicht zu nehmen.

Gleichzeitig wächst der Druck, sich selbst zu optimieren. Wenn ich mal – selten genug – in die Fitnessbude schlurfe, höre ich, wie die Jungs sich über den optimalen Eiweißdrink unterhalten und darüber, dass einer zuletzt 200 Gramm Muskelmasse zugelegt hat.

Ich bin ja selbst nicht besser: Ich will alles richtig machen, gewissenhaft, es allen recht machen, bis zur Selbstaufgabe. Na gut, ich gönne mir auch Entspannung: Dann gucke ich mir die Kommentare von Extremisten auf Social Media an und nerve sie mit Diskussionen.

Dass „Take it easy“ nicht gerade das Gebot der Stunde ist, hat ja gute Gründe. Tatsächlich stehen wir vor Aufgaben, die wir keinesfalls auf die leichte Schulter nehmen sollten. Krieg, Klimawandel, Desinformation, Bildungsmisere, Überschuldung, ja gut, ich hör schon auf. Jetzt auch noch die Inflation, da wird selbst das Einkaufen zur Mathestunde.

Dazu hat noch jeder sein eigenes Päckchen zu tragen. In meiner Branche zum Beispiel werden gleichzeitig Stellen abgebaut, Leute rausgeschmissen und Honoraretats für freie Mitarbeiter gekürzt; die Folge: Die Rausgeschmissenen machen sich Sorgen, die Kostenstellenverantwortlichen müssen Kreise quadratieren, die Freien kriegen keine Aufträge mehr, die Festen werden ausgequetscht.

Aber wo bleibt dann die Leichtigkeit? Was soll, was darf man noch easy taken?

Mein Vorschlag: die nicht so wichtigen Dinge. Wenn wieder Leute an die Decke gehen, weil gegendert wird oder nicht gegendert wird: Take it easy. Wenn einer anders fährt, als ich es täte, oder sich übers Thema Tempolimit aufregt: Take it easy. Wenn einer anders isst, als ich es täte: Take it easy. Und wenn mein Fußballverein … okay, nein, ich will nicht zu viel verlangen.

 

Welche Vorschläge habt Ihr: Wobei sollte man sich ruhig mal lockermachen?

 

Frank B. Meyer, Journalist, lebt in Berlin und Hamburg